Viele junge Männer haben nicht nur dem Klischee nach keinerlei Sinn für Wohnkultur: Sie leben lieblos eingerichtet mit eher praktischen denn ästhetischen Möbeln und Sauberkeit ist sowieso nachrangig. Warum ist das so und was hat das mit unserer spätkapitalistischen Zeit zu tun?
Gastbeitrag von Caroline H.

In unserer spätkapitalistischen Zeit ist die Art und Weise, wie junge Männer ihre Wohnräume gestalten und pflegen, ein faszinierendes soziokulturelles Phänomen, das tiefgreifende Einblicke in die gesellschaftlichen Strukturen und Geschlechterdynamiken unserer Zeit bietet. Als Gegenwarts-Forscherin betrachte ich diese Erscheinung mit einem kritischen und reflektierten Blick, der die komplexen Zusammenhänge zwischen Geschlecht, sozialen Normen und ökonomischen Realitäten beleuchtet.

Schon ungewöhnlich stilvoll für einen jungen Burschen, aber könnte auch nur Klischee sein

Das Phänomen, dass viele junge Männer lieblos eingerichtete Wohnräume mit eher praktischen als ästhetischen Möbeln bevorzugen und Sauberkeit oft nachrangig ist, kann auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden. Einerseits spielen traditionelle Geschlechterrollen eine Rolle, die seit Jahrhunderten die Vorstellung geprägt haben, dass Männer weniger Wert auf ästhetische Gestaltung und Haushaltsführung legen müssen als Frauen. Diese Vorstellung wurde im Laufe der Zeit durch verschiedene gesellschaftliche Institutionen verstärkt und reproduziert, was dazu geführt hat, dass männliche Individuen oft weniger Druck verspüren, ihre Wohnräume ästhetisch ansprechend zu gestalten oder auf Sauberkeit zu achten.

Darüber hinaus können ökonomische Faktoren eine Rolle spielen. In einer Gesellschaft, die von Konsumismus und Materialismus geprägt ist, könnten viele junge Männer aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen dazu neigen, sich auf praktische Möbel und Einrichtungsgegenstände zu konzentrieren, anstatt in ästhetische oder dekorative Elemente zu investieren. Die Priorisierung von Funktionalität über Ästhetik könnte somit auch eine Reaktion auf die ökonomischen Realitäten sein, denen junge Männer gegenüberstehen.

Ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt, ist die Hegemonie des Patriarchats und die damit verbundene Vorstellung von Männlichkeit, die oft mit einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber ästhetischen und haushaltsbezogenen Angelegenheiten einhergeht. In einer Gesellschaft, die bestimmte Vorstellungen davon hat, wie Männer sein sollten und welche Interessen und Fähigkeiten sie haben sollten, könnten viele junge Männer dazu ermutigt werden, ihre Wohnräume auf eine Weise zu gestalten, die ihren vermeintlich männlichen Identitätsmerkmalen entspricht – auch wenn dies bedeutet, dass Ästhetik und Sauberkeit vernachlässigt werden.

Insgesamt zeigt die Präferenz vieler junger Männer für lieblos eingerichtete Wohnräume mit praktischen Möbeln und die nachrangige Bedeutung von Ordnung in ihren Lebensumgebungen ein komplexes Zusammenspiel von sozialen Normen, ökonomischen Realitäten und Geschlechterdynamiken in unserer Gesellschaft auf. Es ist wichtig, diese Dynamiken zu erkennen und zu hinterfragen, um eine inklusivere und gerechteres Miteinander zu schaffen, die die Vielfalt der Lebensstile und Lebensweisen aller Geschlechter respektiert und würdigt.


Vom Klischee zur Kultur: Wie junge Männer die Kunst des Wohnens neu entdecken können

In vielen Wohnungen junger Männer herrscht das Klischee der lieblosen Einrichtung, dominiert von praktischen, aber wenig ästhetischen Möbeln und einem fragwürdigen Sauberkeitsniveau. Dieser Zustand ist nicht nur ein Ausdruck individueller Vorlieben, sondern spiegelt auch tief verwurzelte gesellschaftliche Normen und Erwartungen wider, die dringend einer Veränderung bedürfen. Doch wie können wir sowohl auf individueller als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine Wendung herbeiführen?

Auf individueller Ebene beginnt die Veränderung mit der Erkenntnis, dass das eigene Wohnumfeld weit mehr als nur ein funktionaler Raum ist. Es ist ein Ausdruck der Persönlichkeit und ein Ort, der Wohlbefinden und Kreativität fördern kann. Junge Männer sollten ermutigt werden, sich mit dem Thema Wohnkultur auseinanderzusetzen und zu verstehen, dass eine ansprechende Einrichtung nicht nur für andere, sondern vor allem für sie selbst von Bedeutung ist. Inspiration kann hier aus verschiedenen Quellen kommen: Wohnmagazine, soziale Medien wie Pinterest oder Instagram und Besuche in gut gestalteten Wohnungen von Freunden. Ein weiterer wichtiger Schritt ist das Erlernen grundlegender Haushaltsführung. Sauberkeit und Ordnung sind keine lästigen Pflichten, sondern grundlegende Elemente, die zu einem angenehmen und gesunden Lebensraum beitragen.

Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene müssen wir die stereotype Vorstellung überdenken, dass sich Männer nicht für Ästhetik und Wohnkultur interessieren oder interessieren sollten. Medien und Werbung spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Werbung und Popkultur, die Männer in stilvoll eingerichteten und sauberen Wohnungen zeigen, können dazu beitragen, neue Normen zu setzen. Schulen und Universitäten sollten zudem praktische Lebenskompetenzen vermitteln, die über reine akademische Inhalte hinausgehen und jungen Menschen beibringen, wie sie ein Zuhause schaffen, das nicht nur funktional, sondern auch schön und einladend ist.

Auch das soziale Umfeld kann einen erheblichen Einfluss haben. Freundeskreise, die Wert auf gepflegte Wohnungen legen, können einen positiven Gruppendruck erzeugen. Events wie gemeinschaftliche Einrichtungspartys oder DIY-Treffen können dabei helfen, die Lust an der Gestaltung des eigenen Wohnraums zu wecken und praktische Tipps zu vermitteln.

Ein weiterer Ansatz ist die Integration von Nachhaltigkeit in die Diskussion über Wohnkultur. Junge Männer sind oft empfänglich für Themen wie Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Die Idee, dass eine gut gestaltete Wohnung auch nachhaltig und umweltfreundlich sein kann, könnte zusätzliche Motivation bieten. Möbel aus recycelten Materialien, Upcycling-Projekte und der Kauf von langlebigen, zeitlosen Stücken können sowohl ästhetische als auch ökologische Vorteile bieten.

Nicht zuletzt spielt die Familie eine zentrale Rolle. Eltern, die ihren Söhnen von klein auf beibringen, dass Sauberkeit, Ordnung und ein gewisses Maß an ästhetischem Empfinden wichtige Aspekte des Lebens sind, legen den Grundstein für ein bewussteres Wohnen im Erwachsenenalter. Dies bedeutet auch, dass traditionelle Geschlechterrollen hinterfragt und neu definiert werden müssen.

Zusammengefasst erfordert die Veränderung hin zu einer wertschätzenderen Wohnkultur bei jungen Männern sowohl individuelle Anstrengungen als auch einen gesamtgesellschaftlichen Wandel. Es geht darum, alte Stereotype zu durchbrechen, neue Normen zu etablieren und jungen Männern zu zeigen, dass ein schön eingerichtetes, sauberes Zuhause nicht nur etwas für andere, sondern vor allem für ihr eigenes Wohlbefinden wichtig ist. Durch Inspiration, Bildung und ein unterstützendes soziales Umfeld kann diese Veränderung gelingen.